Top Secret Trends in den Labs von Facebook und Co: Health 2.0

Health 2.0, also die Verknüpfung von Telemedizin mit Social Media, wurde bislang noch nicht mit äußerster Konsequenz zuende gedacht. Da geht noch einiges! Ein Blick in die Entwicklungsabteilungen von Twitter, Facebook & Co:

Der Stand der Technik

Herzschrittmacher, die bei Auffälligkeiten Vitalparameter wie EKG oder Blutdruck selbsttätig via Handy an den Hausarzt senden1, gibt es schon länger, und beispielsweise im Rahmen des Projektes CorBene werden in Nordrhein-Westfalen und im Saarland bereits 4000 Patienten mit Herzinsuffizienz telemedizinisch betreut – unter anderem mit einem speziellen Handy, das, ans Herz gehalten, selbst zum EKG-Gerät wird. Und der Markt boomt. Implantierte Sensoren mit Anbindung an ein Funknetz sollen künftig bei vielerlei chronischen Krankheiten ein Tele-Monitoring ermöglichen. An vorderster Stelle geht es dabei um Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes, aber es werden zum Beispiel auch schon Sensoren zur Überwachung des Augeninnendrucks von Glaukom-Patienten erprobt.

Die Krankenkassen halten sich mit der Aufnahme telemedizinischer Dienste in den Leistungskatalog noch zurück bis deren Nutzwert gründlich nachgewiesen wurde2. Möglicherweise wartet man aber auch einfach darauf, dass sich in der Zwischenzeit gleichermaßen pragmatische wie kostengünstige Selfmade-Lösungen mit Hilfe von Social Media etabliert haben3.

Twitter This Blood Pressure!

Künftige Generationen von Telecare-Geräten werden zumindest um die zusätzlichen Buttons „Twitter this” und „Share” (Facebook) ergänzt sein, APIs sind in Vorbereitung. Wer seine Lieben beruhigen will, twittert regelmäßig seine Vitalwerte und zeigt damit, dass alles in Ordnung ist. Solche User und ihre Ärzte könnten faven, und bei auffälligen Werten twittert der Arzt seinem Patienten einen Praxistermin4. Gegen einen kleinen Abo-Beitrag werden auch Rettungsdienste zu Followern und schicken umgehend einen Rettungswagen, sobald die Überwachungssysteme eines Patienten ein automatisch generiertes #cardiacarrest oder #Herzstillstand twittern. Auf solch einfache Weise könnte das Gesundheitswesen finanziell massiv entlastet werden.

Facebook: „Als Leidensgenossen hinzufügen“

Facebook sieht in Health 2.0 eine weitere große Chance, die Akquise und Vernetzung von Mitgliedern voran zu treiben. Automatisch aktualisierte Vitalwerte können künftig im Profil veröffentlicht werden, und Leidensgenossen können über die Funktion „Add as fellow sufferer“ (Arbeitstitel) zusammenfinden. Möglicherweise werden wir uns also künftig – analog zu „unfriend” 5 – auch an das Wort „unfellow” gewöhnen müssen6. Von Blutzuckerwerten in der Timeline verspricht sich Facebook eine aktivere Einbindung auch der User, die bislang aufgrund einer Erkrankung einen eher eingeschränkten Freundeskreis pflegten oder sich kommunikativ zurückhielten7. Dass sich ein gigantisches Potenzial an Werbeeinnahmen für beispielsweise Pharma-Unternehmen ergibt, versteht sich von selbst.

Hashable: HashCred vs. Coolness-Faktor

Der New Yorker Startup Hashable („Build & track relationships that matter“), der sich auf die qualitative anstatt quantitative Bewertung von Beziehungen konzentriert, ist elektrisiert von den neuen Möglichkeiten. Schließlich könnte man an Veränderungen der Herzfrequenz oder des Blutdrucks tatsächlich messen ob uns ein Kontaktpartner kalt lässt oder Emotionen und Affekte in uns auslöst. Der sog. HashCred dieses sozialen Netzwerks würde dann noch aussagefähiger, beziehungsweise er müsste eventuell durch einen Coolness-Faktor (HashEmo) erweitert werden.

Foursquare: Mayor meets Patient

Lokalisierungsdienste (Foursquare, Gowalla, Friendticker etc.) tun sich noch etwas schwer mit der Health 2.0 Integration. Immerhin würde es wohl die Aufgabe der Bürgermeister, Presidents, Champs etc. werden, sich um einen in ihrem Gebiet eingecheckten User mit Herzanfall zu kümmern. Diese zusätzliche Verantwortung lässt sich schwerlich mit dem Bemühen vereinbaren, kommerziell verwertbaren Nutzwert der ganzen mühsamen Ein- und Auscheckerei zu finden.

Disease-Matching in Single-Portalen

Single-Portale arbeiten ebenfalls an diesem Thema und erweitern ihre Matching-Algorithmen. Disease-Matching klingt zwar nicht sexy und widerspricht dem in solchen Plattformen weit verbreiteten Trend, sich schamlos zu beschönigen, aber immerhin geht es um große Anteile der Bevölkerung, die bislang als Zielgruppen völlig vernachlässigt wurden.


Fußnote 1:
Ganz so einfach funktioniert das nicht. Es handelt sich um eine recht komplexe Infrastruktur, die einen hohen medizinischen und Datenschutz-Standard garantieren soll. Zwischen Patient und Hausarzt steht dabei organisatorisch das Telemedizinische Service Center (TSC). Übrigens versuchen auch die großen Telekommunikationsunternehmen mit viel Energie, sich Schlüsselpositionen in diesen Geschäftszweig zu sichern.

Fußnote 2:
Ab hier geht der Text in einen satirisch-spekulativen Modus über.

Fußnote 3:
Die Argumentation könnte dann (berechtigterweise) lauten, dass kostspielige Investitionen in Sicherheit und Datenschutz bei Patienten, die ohnehin freiwillig ihre persönlichsten Daten dubiosen Adress- und Kontaktvermarktern in den USA in den Hals werfen, getrost entfallen können.

Fußnote 4:
GOÄ-Ziff. 250 – Beratung (persönlich, telefonisch, per Tweet)

Fußnote 5:
(New Oxford dictionary’s Word of the Year 2009)

Fußnote 6:
Patent-Antrag für den elektronischen Unfellow-Prozess und Markenschutz für das Wording sind in Vorbereitung.

Fußnote 7:
Chronisch Kranke sind oft gezwungen ihre Lebensweise ihrer Erkrankung anzupassen und ihr viel Aufmerksamkeit zu widmen. Ihr gesunder Freundeskreis bringt dafür meist nur zeitlich begrenzt viel Verständnis bzw. Rücksicht auf.

Fußnote 8:
Ja, ich weiß schon: Die Realität wird ja doch wieder grotesker als diese Satire. Seufz…

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Über Marc Stenzel

Marc Stenzel ist Inhaber der New Media Agentur media deluxe sowie freiberuflich als Marketing- und Projektmanager Online, Dozent und Fachjournalist (DFJV) tätig. Marc Stenzel bloggt hier über aktuelle Themen aus dem fachlichen und räumlichen Umfeld des Unternehmens - mal sachlich, mal humorvoll:
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